Ende März 2021 schiebt Deutschland 17 Menschen nach Äthiopien ab – obwohl dort Bürgerkrieg herrscht. Für die Betroffenen findet das Trauma kein Ende. RefugeesWelcome Von BartVola & carolaaki
Nach Abschiebeflug nach Äthiopien:Zukunft ungewiss Am Dienstag, den 23. März 2021, zwischen 6 und 7 Uhr früh, fahren zwei Polizeiwagen vor einer kleinen Wohnung am Menzelplatz in Bayreuth vor. Vier Polizisten, so erinnert sich Hussen Adem Eshetu, seien ausgestiegen und hätten die Tür seiner Wohnung aufgebrochen.
Um kurz nach 8 Uhr findet sich 90 Kilometer südlich Abere Damtie Yezachew in der Ausländerbehörde am Heinrich-Bibra-Platz in Fulda ein. Er hat nicht geschlafen. Die ganze Nacht hat er Schichtdienst im Lager des Paketdienstleisters GLS im nahe gelegenen Bad Hersfeld geschoben. Er war nur kurz zu Hause, um sich ein frisches Hemd anzuziehen und rechtzeitig auf dem Amt zu erscheinen.
Warum wird so viel Geld ausgegeben, um Menschen wie Eshetu, Beyene und Yezachew in ein Land abzuschieben, in dem zu diesem Zeitpunkt Bürgerkrieg herrscht? Menschen, die sich längst neue Leben aufgebaut haben? Wenige Minuten später findet sich in Witzenhausen eine Gruppe auf dem Marktplatz ein. Der Asylhelferkreis hat zu einer spontanen Mahnwache aufgerufen, um gegen Beyenes drohende Abschiebung zu demonstrieren. Mehr als einhundert Leute sind gekommen, manche haben Fahnen dabei, auf denen „Leave No One Behind“ steht.
Am Morgen des 23. März bekommt er einen Anruf. Von Eshetu, aus dem Polizeigewahrsam. „Ich war wie unter Schock“, erinnert sich Schmidt. Er habe versucht, den Polizisten am Telefon die Situation zu erklären. „Ich habe gesagt: Wissen Sie, dass Sie dabei sind, einen schwerkranken Mann abzuschieben?“ Die Polizisten hätten nur erwidert, dass sie einen Arzt dabei hätten, der sich darum kümmert.
Im Norden Äthiopiens herrscht zu diesem Zeitpunkt seit fünf Monaten ein blutiger Bürgerkrieg, der bis heute Zehntausende Leben gekostet und laut UN-Angaben mehr als drei Millionen Menschen vertrieben hat. Auf der einen Seite kämpfen die Rebellengruppen der „Volksbefreiungsfront von Tigray“ , die bis zum Machtwechsel 2018 selbst das Land regiert hat –, auf der anderen die äthiopische Armee um Premierminister Abiy Ahmed gemeinsam mit den Streitkräften von Eritrea.
Vor drei Jahren sei ihr Bruder, ein regimekritischer Journalist, aus Eritrea nach Äthiopien geflohen. Kurz darauf sei er tot in einem Hotelzimmer aufgefunden worden. Die Umstände des Todes seien bis heute nicht geklärt. Aber Beyene sagt: „Hier in Addis wimmelt es von eritreischen Geheimdienstlern und ich fürchte mich davor, dass mir das Gleiche widerfährt.
Verhaftet, gefoltert und traumatisiert Auch Hussen Eshetu treffen wir in Addis. Er sitzt unter einem Coca-Cola-Schirm auf der Terrasse eines heruntergekommenen Cafés an einem Platz im Zentrum. Von hier aus kann man Straßenkinder beobachten, die zwischen den Autos hin und her laufen, versuchen Kaugummis und Masken zu verkaufen. Frauen, die am Straßenrand Kaffee in mit Äthiopien-Fähnchen bedruckte Tassen ausschenken. Businessmänner mit Sonnenbrillen.
Die Menschen hier sind stolz darauf, dass Äthiopien das einzige afrikanische Land ist, das nie kolonialisiert wurde. Viele beschuldigen den Westen, die TPLF zu unterstützen, und machen die USA für die Eskalation des Bürgerkriegs verantwortlich. Noch vor wenigen Monaten verlief die Frontlinie nur 100 Kilometer von hier. Inzwischen ist die Anspannung der Normalität gewichen, aber dennoch sind die Folgen des Krieges an jeder Ecke zu spüren.
Abere Yezachews Asylantrag wird 2017 abgelehnt, erzählt er. Die Unterlagen liegen uns nicht vor, da sein Anwalt sie nicht herausgeben will – Yezachew habe die Rechnung nicht bezahlt. „Wir können davon ausgehen, dass es war wie bei vielen äthiopischen Männern“, sagt Sonja Berg vom Verein „Bündnis für faires Asylrecht“, der äthiopische Geflüchtete unterstützt.
Psychologische Gutachten lassen das Gericht kalt Auch Hussen Eshetus Asylantrag wird zunächst abgelehnt. Das Gericht hielt seine Schilderungen für unglaubwürdig. Bereits in Schweden sei sein Antrag abgelehnt worden, damals habe er nichts von seiner toten Mutter erzählt. Auch wenn er sagt, dass er damals zu traumatisiert gewesen sei, um die volle Wahrheit zu erzählen: Das Gericht glaubt ihm nicht mehr.
Den Brief mit der Zurückweisung der Berufung bekommt seine Anwältin am 22. März 2021; das Bamf hatte in einer früheren Begründung geschrieben: „Er kann auf den Familienclan zurückgreifen“, die elf Geschwister könnten sich um ihn kümmern. Noch bevor Hanns-Georg Schmidt Eshetu über das Schreiben informieren kann, wird der abgeschoben.
Frau Beyene ist pünktlich ++ motiviert ++ zuverlässig ++ erledigt Aufgaben selbstständig ++ teamfähig ++ belastbar ++ kontrolliert ihre Arbeitsergebnisse ++ ist handwerklich geschickt ++ hat Ordnung am Arbeitsplatz ++ Doch die Polizisten halten sie hin. „Ich wurde von Warteschleife zu Warteschleife geschickt. Ich habe mich echt verschaukelt gefühlt.“ Gleichzeitig ist es zu spät, um einen Richter zu erreichen, der den Beschluss durchsetzen könnte. Die Polizei lässt Beyene nicht gehen. Um 17.23 Uhr wird der Asylfolgeantrag vom Bamf als unzulässig abgelehnt. Doch das erfahren Claire Deery und Beyene erst, als ihnen am 30. März das Schreiben zugestellt wird.
Zu viert auf 10 Quadratmetern Inzwischen hat die Bundesregierung im Koalitionspakt Änderungen beschlossen: Nach sechs Jahren Duldung sollen abgelehnte Asylbewerber:innen die Möglichkeit bekommen, ein Bleiberecht zu beantragen und die Beschäftigungsduldung soll entfristet werden. In der Vergangenheit musste man ein Jahr geduldet sein, bevor eine Beschäftigungsduldung beantragt werden konnte – ein Jahr, das den Behörden blieb, um abzuschieben.
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