Günter Wallraff forscht seit über fünf Jahrzehnten ganz unten. Zu seinem 80. Geburtstag eine persönliche Erinnerung an meinen ehemaligen Vermieter.
Vor einem Haus stehe ich, auf dem groß das Rettungsschiff „Cap Anamur“ gemalt ist, durch ein Tor trete ich in den Innenhof, gehe über die Treppe auf der linken Seite hinein in das Wohngebäude. Es ist so klein und hutzelig, dass ich – klein und hutzelig – mich reflexartig ducke.
Zweiter Bildungsweg Das ist nun zehn Jahre her, ich war damals fast 30 und studierte auf dem zweiten Bildungsweg „Online-Redakteur“ – wer sich diese Bezeichnung ausgedacht hat, denkt hoffentlich heute noch darüber nach. Es ist kaum möglich, Studierenden journalistische Darstellungsformen näherzubringen, ohne die Grenzen und legendenumwobenen Spielarten des investigativen Journalismus anzuschneiden, die du, Günter, seit über 50 Jahren immer wieder austestest.
Hans Esser bei der BILD Mal hast du als Türke „Levent Sigirlioğlu“ bei Thyssen gearbeitet, als „Reporter Hans Esser“ dich in die Bild-Zeitung eingeschlichen, Burger bei Fastfoodketten gebraten. Häufig hast du eine Perücke aufgesetzt, einen Bart angeklebt, ebenso häufig wurdest du vor Gericht geladen.
Ja, ja, äh, ja. Und ich merke, dass du gedanklich längst bei einem anderen Thema gelandet bist. „Ja, ja, äh, ja!“ – diese besondere Form der Aneinanderreihung von Jas werde ich noch oft hören. Denn ich bin ganz gut darin, Themen, die nicht meine eigenen sind, zu sortieren. Und so ergab es sich, dass ich dir im Büro aushelfe.
Die engsten Gefährten Ich lernte deine Gefährten kennen, die genauso kämpferisch und gerechtigkeitsliebend sind: den Journalisten und „work-watcher“ Albrecht Kieser und den selbsternannten radikalen Menschenfreund Rupert Neudeck – dessen Porträt im Wohnzimmer meiner Großeltern hängt. Der Drang, sich zu engagieren, eint euch. Und übertrug sich auch auf mich.