Mit Widersprüchen und Missverständnissen konnte er leben: Erinnerung an den deutschen Schriftsteller Martin Walser, der am Freitag 96-jährig verstorben ist.
Am Bodensee war er geboren worden, auf süddeutscher Seite, im März 1927, als Sohn eines Kohlenhändlers und einer Bahnhofswirtin. Ebendort, am Bodensee, starb er nun auch, mehr als 96 Jahre später. Doch Martin Walser war nicht immobil, er hatte sich bewegt, weit sogar, quer durchs 20. Jahrhundert, in den mehr als 60 Büchern, die er hinterlassen hat.
Nach seinem Studium, er dissertierte über Franz Kafka, arbeitete Walser als Radioredakteur und lernte über die „Gruppe 47“ Schriftsteller wie Günter Grass und Heinrich Böll kennen, aber auch den Kritiker Marcel Reich-Ranicki. 1949 veröffentlichte die „Frankfurter Rundschau“ den ersten Text Walsers, sein Romandebüt „Ehen in Philippsburg“ markierte 1957 den Durchbruch.
Als Chronist deutscher Wirklichkeits- und Seelenzustände hatte er in seinem Schreiben stets den Imperativ des Politischen vor Augen; er bezog in ungezählten Essays zu politischen und gesellschaftlichen Kontroversen Stellung; er agitierte gegen den Vietnamkrieg, gegen die deutsche Teilung und gegen die „Instrumentalisierung“ der Shoah.
Als profil-Redakteur Wolfgang Paterno den Schriftsteller im März 2017 zu dessen 90. Geburtstag für ein Gespräch besuchte, hatte Walser den Termin verschlafen. Die „ohnehin einschüchternden Augenbrauenbüsche“ des eben erwachten Autors seien „noch verstrubbelter als sonst“, notierte Paterno. Das Interview selbst geriet nach einem heißen Kaffee dann doch sehr lesenswert. Er rede und schreibe nur aus Erfahrung, sagte Walser da. Vom Sterben spreche er deshalb nicht.
Literatur verändere die Welt übrigens nicht, im Gegenteil: Sie verkläre diese. Und dennoch: „Hätte es die Sprache nicht gegeben“, so Walser noch, „es hätte mich nicht gegeben“.
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